Rezensionen unserer Schüler zur szenischen Lesung von Reimund Groß
"Der Alp des Wahnsinns setzte sich zu seinen Füßen"
von Paula Martone
Brüllend, auf dem Boden kauernd oder sogar lachend, sprudelten die wirren Gedanken des schizophrenen Lenz, verkörpert durch den Schauspieler Reimund Groß, aus seinem Mund.
Die Novelle „Lenz“, verfasst von Georg Büchner, erzählt die Geschichte des psychisch erkrankten Dichters, welcher Zuflucht in Waldbach im Hause Oberlin sucht und zunächst findet. Sein Zustand verschlechtert sich jedoch und endet in einer bedingungslosen Resignation.
Am Rande des Wahnsinns wanderte Lenz durch das Gebirge auf dem Weg nach Waldbach. „Es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlorenen Träumen, aber er fand nichts“.
Durch seine eindrucksvolle, stetig wechselnde Mimik und Gestik verkörperte Reimund Groß die Gedanken und Gefühle des psychisch erkrankten Lenz. Ein auf die Sekunde genau passender Soundtrack ließ die Zuschauer in die Atmosphäre eintauchen und unterstrich den ständigen Wechsel zwischen Harmonie und Panik.
Dem Künstler Reimund Groß gelang es ohne zu stolpern in alle Gesichter des Schizophrenen hineinzuschlüpfen, aber auch den mitfühlenden Pfarrer Oberlin oder den diskutierfreudigen Kaufmann zu verkörpern. Das Publikum konnte sich so in den geistigen Zustand des Dichters hineinversetzen und seine Gefühle und Gedanken hautnah erleben. Durch das abrupte Wechseln von Stimmlage und Position erschrak das Publikum nicht selten und erlebte die Verwirrung am eigenen Leibe.
Zusätzlich ließ der Künstler seine eigene Persönlichkeit in das Personen-Wirrwarr mit einfließen, indem er zu spät gekommene Schüler grüßte oder als Lenz gezielt Personen im Publikum ansprach.
Insgesamt gelang es dem Künstler, den Schülerinnen und Schülern des CJD Oberurff, den Geisteszustand des schizophrenen Lenz in seiner Rezitation des Werkes eindrucksvoll zu vermitteln, welcher beim alleinigen Lesen der Novelle nicht so deutlich wurde.
"In seiner Brust war ein Triumphgesang der Hölle"
von Theresa Wollmert
Schwarzer Mantel, ein Stuhl, minimaler Soundtrack, Lichtspot - mehr brauchte Reimund Groß nicht, um sein Publikum, die 12. und 13. Jahrgangsstufe des CJD Oberurff, für die Novelle „Lenz“ von Georg Büchner zu begeistern. Das Stück handelt von einem Lebensabschnitt des jungen schizophrenen Dichters Lenz, der bei einem Pfarrer eine gewisse Zeit verbringt, um sich selbst zu finden. Reimund Groß begann sein Stück, indem er auf der Lehne eines Stuhls saß, einen Lichtspot auf ihn gerichtet und den Kopf gestützt mit seinen Armen auf den Knien. So verweilte er einige Minuten, bevor er aufschreckte und Lenz` Gang nach Walddorf durch die Natur imitierte. Aufbrausend, dann stilles Nachdenken, Wutausbrüche, Hysterie, Lachen: All diese verschiedenen Fassaden traten in Wechselwirkung miteinander. Er schwankte zwischen Verwirrung und Klarheit, sodass sich das Publikum in die Lage einen psychisch Kranken hineinversetzen konnte, was einem durch das Lesen der Novelle nicht in diesem Maße gelang. Das ganze Stück hindurch wechselte Reimund Groß nicht nur zwischen zwei verschiedenen Charakteren des Lenz, sondern auch zwischen den einzelnen Personen. So verkörperte er in einem Moment den verrückten Lenz, im nächsten Moment die mitfühlende Frau Oberlin. Er passte Mimik und Gestik, Körperspannung und Tonfall den einzelnen Personen an. So vermittelte er uns einen Einblick in die Erfahrenswelt eines Schizophrenen und schaffte es auch die Schüler selbst zu verwirren, indem er Personen, die den Raum verspätet betraten, einen Guten Tag wünschte und im nächsten Moment wieder die Stimmungslage wechselte. Man hat gemerkt, wie er in seinen verschiedenen Rollen steckte. Groß machte das Stück lebendig, dadurch, dass er ganz frei eine Stunde und 17 Minuten sprach. Durch seine faszinierende, beachtenswerte Darstellung gelang es dem Schauspieler, den Jahrgängen das Stück näher zu bringen, wofür er auch den verdienten Applaus erhielt.
"Verkörperung der verschiedenen wahnhaften Geisteszustände"
von Catharina Eichenberg
Selbstironisch kündigt der Schauspieler Reimund Groß seinem überwiegend jugendlichen Publikum an, dass er es mit seiner Lieblingsnovelle, dem „Lenz“ von Büchner, zu langweilen gedenkt. Mit dieser Stückauswahl wagt er sich an die Darstellung des psychisch kranken Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, welcher bei seinem Aufenthalt im Bergdorf Waldbach bei Pfarrer Oberlin verschiedene Phasen des Wahns durchlebte. Erschienen ist die Novelle im Jahr 1839.
Locker und lustig gelingt Reimund Groß mit der Imitation eines nordhessischen Dialekts der Einstieg in die zu rezitierende Materie. Weitere für ein gutes Verständnis der Novelle nötige Hintergrundinformationen folgen in knapper, aber ausreichender Form. Mit dem Erklingen spiritueller Musik verstummt der Raum, und Groß scheint ganz in seine Rolle als Lenz zu versinken. Mal hebt er den Blick und schwelgt im Raum, als ob er die naturgewaltige Landschaft, die Büchner kreiert, selbst vor Augen hätte, mal fixiert er einzelne Zuschauer im Publikum. Geschickt bindet Reimund Groß einige Zuspätkommer in die Rezitation mit ein, ohne dabei aus der Rolle zu fallen, was für die restlichen Zuschauer höchst amüsant ist.
Besonders ausdrucksstark gelingt ihm die Verkörperung der verschiedenen wahnhaften Geisteszustände, die Lenz durchlebt. Egal, ob er den tiefsten Schmerz, die höchste Freude, eine Phase des Größenwahns oder die ungebändigte Wut des Lenz‘ darstellt: Alles wirkt authentisch dank der hervorragenden Mimik und der passenden Gestik des Darstellers. Reimund Groß nutzt für sein leidenschaftliches Spiel die gesamte Bühne sowie den Zuschauerraum und verstärkt die Dramaturgie mit gezielt eingesetzten Klängen. Nicht verwunderlich ist es also, dass so manch einen Zuschauer das Gefühl von echter Betroffenheit gegenüber Lenz‘ Schicksal ergreift, weil ihn diese Rezitation völlig in die Gefühlswelt des psychisch kranken Schriftstellers eintauchen lässt.
Auch die rasanten Übergänge zwischen Lenz‘ Anfällen und den äußeren Handlungssträngen funktionieren ausgesprochen gut und erhalten die Spannung aufrecht. Die anspruchsvollen Personenwechsel zwischen zwei so unterschiedlichen Charakteren wie Oberlin und Lenz werden ebenfalls durch stimmliche Anpassungen glaubhaft aufgezeigt, was selbst für erfahrene Schauspieler kein leichtes Unterfangen ist. Umso erstaunlicher, dass Reimund Groß nicht mehr als einen Stuhl, ein Mikrophon und seinen Soundtrack für diese Rezitation benötigt.
Mit regem Applaus und einer Verbeugung von Reimund Groß endet der Auftritt schließlich nach einer Stunde und 17 Minuten. Ich finde, dass sich diese rundum gelungene Darbietung für alle Oberstufenschüler eignet, die das Buch bereits im Unterricht behandelt haben und noch einmal an einer ganz einzigartigen Darstellung von Büchners Werk interessiert sind. Die Rezitation gestaltete sich für mich ebenfalls als eine nützliche Wiederholung für das Abitur. Abschließend lässt sich von dieser Lesung nur sagen: überaus ergreifend und weit entfernt von langweilig.